Geschichte

Kurt Größler †: Der Ornithologischer Verein zu Leipzig e.V. - ein Rückblick

Am 1. Juni 1881 traf sich im Schützenhaus zu Leipzig Dr. Eugène Rey mit neun an der Vogelwelt interessierten Herren. Gemeinsam beschlossen sie die Gründung des "Vereins von Freunden der Ornithologie und des Vogelschutzes". Zum Vorsitzenden wurde E. Rey, als sein Vertreter A. Goering gewählt. Man traf sich in einem Wirtshaus, die Lokalitäten mussten in den folgenden Zeiten oft gewechselt werden. Viele interessierende Themen wurden besprochen, nicht selten neben einem Glas Bier mitgebrachte Vögel präpariert. Bald konnte die Bibliothek gegründet werden und über den Inhalt der erworbenen Bücher und Zeitschriften referiert werden. Rey führte bis 1890 eine große Naturalienhandlung und brachte oft Präparate heimischer und fremder Vogelarten mit, die eingehend studiert wurden. Oft in größerer Zahl, der Transport war sicher nicht einfach.

Im Jahr 1900 wurden die Feierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen der DOG in Leipzig ausgerichtet. E. Rey leitete 27 Jahre die Geschicke des Vereins, dessen Name in "Ornithologischer Verein Leipzig" geändert wurde. Rey war ein eifriger Ornithologe und Oologe, betreib die Hüttenjagd, untersuchte den Mageninhalt erlegter Vögel und war publizistisch rege. Er bearbeitete die eierkundlichen Texte für den "Neuen Naumann" und verfasste das lange Zeit als Standardwerk geschätzte Buch "Die Eier der Vögel Mitteleuropas", 1899–1905 erschienen. Zeitlos bleibt seine auf reicher eigenen Erfahrung basierende Arbeit "Altes und Neues aus dem Haushalte des Kuckucks".

Ab 1886 wurden jährlich bis zu 50 Sitzungen abgehalten. Die Zahl der Mitglieder stieg schnell an, in einem Verzeichnis von 1895 sind bereits zwei Ehren-, drei korrespondierende und 46 ordentliche Mitglieder aufgeführt. Eine "Ornithologische Tour" an die Haselbacher Teiche kam am 2. 7.1884 zwar nicht zustande, wurde aber bald nachgeholt.

Nach einem kurzen Interregnum übernahm A. Voigt den Vorsitz und führte den Verein bis 1919 sehr erfolgreich. Es fand eine rege Vortragstätigkeit statt, an welcher sich – wie bereits auch in der Zeit von Rey – in Leipzig studierende bekannte Ornithologen eifrig beteiligten. J. Thienemann, der Gründer und langjährige Leiter der Vogelwarte Rossitten, legte Raben- und Nebelkrähen Bälge vor, besonders die "Bastarde" erläuternd; A. Jacobi referierte oft aus der ausländischen Literatur; A. Goering berichtete über seine Venezuela-Reisen und zeigte eigene Gemälde der bereisten Gebiete; H. Weigold, der spätere Vogelwart von Helgoland, berichtete über seine Reisen mit dem Präparator O. Teichmann, der ebenfalls Mitglied des Vereins war. Voigt selbst sprach über seine Reisen in verschiedene Gebiete des damaligen Deutschen Reiches, die er zur Erweiterung seiner Kenntnisse der Vogelstimmen aufsuchte. Sein Exkursionsbuch zum Studium der Vogelstimmen erlebte mehrere Auflagen, nach seinem Tod erarbeitete E. Hesse die Zehnte! Hesse war Dozent an der Universität und seiner Zeit wohl der "beste" Feldornithologe, der bereits kurz nach der Jahrhundertwende gezielt bestimmte Gebiete aufsuchte, bis zu 60 Tagesexkursionen in einige derselben durchführte und auch über die beachtlichen Ergebnisse im Journal für Ornithologie berichtete. P. Wichtrich, ein echter Waldläufer der alten Schule, war lange Zeit der eifrigste Beobachter und führte viele Exkursionen durch, besonders in das Gebiet der Mulde und nach Eschefeld. H. Hildebrandt bereicherte die Vereinsabende durch vielseitige Vorträge. Lange Zeit gehörten dem Verein als aktive Mitglieder auch viele weitere Ornithologen an, darunter, um nur einige zu nennen: A. Marx, H. Lindner, W. Salzmann, M. Herberg, F. Mayas, H. Pönitz.

In den Jahren 1919–1931 übernahm R. Schlegel die Leitung des Vereins. Er sammelte eifrig sowohl Vögel als auch Eier, von zwei umfangreichen Kollektionen kam eine nach München, die andere, einschließlich der Säugetiere, nach Dresden. Die Eiersammlung erhielt das Naturkundemuseum Leipzig. Schlegel publizierte viele ornithologische und oologische Arbeiten in verschiedenen Zeitschriften, und mit Unterstützung der Mitglieder sein Hauptwerk "Die Vogelwelt des nordwestlichen Sachsenlandes", erschienen 1925. Auch heute lohnt es sich für avifaunistisch-phänologisch Interessierte, das Buch zur Hand zu nehmen. In den schweren Jahren nach Kriegsende mussten teilweise die Versammlungen in der Wohnung von Schlegel durchgeführt werden, weil die Lokalkosten nicht erschwinglich waren.

1932–37 hatte B. Schneider den Vorsitz, 1938–45 R. Gerber. Im Jahre 1935 werden 13 Ehren-, 13 korrespondierende, und 74 ordentliche Mitglieder gezählt. H. Kummerlöwe berichtete mehrfach über seine Reisetätigkeit in Südosteuropa und der Türkei. Auch über Zugbeobachtungen im Hochgebirge. Ende der 1920er und und den 1930er Jahren bereicherten besonders H. Dathe und seine Studienkollegen das Vereinsleben. Die Studenten hielten Vorträge über ihr bei den Vorlesungen errungenes Wissen. Besonders Dathe selbst hat nach stürmischen Anfangszeiten maßgeblich die gezielte faunistische Erfassung der Vogelwelt vorangetrieben. Als Ergebnis erschienen damals beachtenswerte Übersichten des Zugverlaufes von Sandregenpfeifer und Temminckstrandläufer in Sachsen. Am neu entstandenen Elster-Stausee wurde intensiv, längere Zeit täglich, beobachtet. Die Ergebnisse konnten aber leider nur teilweise ausgewertet werden.

Nach dem Krieg erlag das Vereinsleben zwangsläufig den Zeitumständen. Bemühungen des langjährigen Schriftführers A. Kunert mussten sich auf die Kontaktaufnahme zu den Vereinsmitgliedern beschränken, ein Antrag auf Wiederzulassung des Vereins hatte keinen Erfolg. Erst 1949 gelang es wieder, die Arbeit aufzunehmen. Als Leiter konnte der parteilich nicht belastete Dr. H. Voerkel – früheres Mitglied des Vereins – gewonnen werden. In den zwei Jahren seiner Interimstätigkeit war er bei den neuen jungen Mitgliedern sehr beliebt. Dann führte wieder R. Gerber die Geschicke des Vereins, der als Arbeitskreis, später Fachgruppe Ornithologie, dem Kulturbund zur Erneuerung Deutschlands, später Deutscher Kulturbund und schließlich Kulturbund der DDR zugeordnet wurde. Nach dem altersbedingten Ausscheiden Gerbers leiteten O. Wadewitz, J. Fiebig und G. Erdmann den Verein. Bereits 1952 konnten 35 Mitglieder gezählt werden, deren Zahl 1960 sogar 170 erreichte. Das Vereinsleben erhielt besonders Prägung durch Dathe bis zu seinem Weggang nach Berlin 1954 und die Studenten W. Grummt, S. Wagner, G. Mauersberger u.a.. Auch wurde wieder über die Ergebnisse fleißiger Feldarbeit berichtet: R. Gerber über den Ortolan, F. Stein über den Flussregenpfeifer, F. Meyer über Rotmilan und Flussuferläufer; O. Wadewitz über den Flussuferläufer; K. Größler über die Uferschwalbe, J Fiebig und H. Kretzschmar über die Großtrappe. Die Großtrappe wurde später bis zu dem Erlöschen ihres Vorkommens von J. Schmidt und Dr. P. Hofmann betreut.

K. Tuchscherer, als Faunist sehr eifrig, verteilte seit 1961 hektographierte "Schnellnachrichten", die 1966 zur Gründung der "Avifaunistischen Mitteilungen aus dem Bezirk Leipzig", herausgegeben von K. Größler und K. Tuchscherer, führten. Ab Heft vier wurde der Titel in "Actitis" geändert, 1970 der Bezirk Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) und 1980 auch der Bezirk Dresden einbezogen. Somit war ein gesamtsächsisches Blatt entstanden, damals als bescheidener Ersatz für die nicht mehr erscheinenden "Mitteilungen des Vereins Sächsischer Ornithologen". Bis 1989 konnten 27 Hefte herausgegeben werden, die Zeitschrift wird nun vom Naturschutzbund, Landesverband Sachsen e.V., in Zusammenarbeit mit dem OVL weitergeführt. Im Jahre 1975 erschien ein "Prodomus der Avifauna des Bezirkes Leipzig", gedacht als Vorgabe für eine Lokalavifauna. Das Projekt wurde jedoch eingestellt, unter anderem weil Planungen für eine Ornis der gesamten DDR in fünf Teilen Gestalt annahm. Bereits 1977 erschien der erste Band dieser Reihe (Mecklenburg). Der Sachsenband folgte erst 1989, herausgegeben von R. Steffens, D. Saemann und K. Größler.

Nach dem Ende der DDR wurde der Verein unter dem Namen "Ornithologischer Verein zu Leipzig" in das Vereinsregister beim Amtsgericht Leipzig eingetragen. Im Jahr 1994 gelang es, eine eigene kleine Zeitschrift herauszugeben, die jährlich unter dem Titel "Mitteilungen des Ornithologischen Vereins zu Leipzig e.V." erscheint. Berichtet wird über das Vereinsleben seit der Gründung bis zum Jahr 1944, in Jahresberichten über die Tätigkeit seit 1993. Ferner erscheinen größere und kleinere Abhandlungen, deren Inhalt von Auswertungen quantitativer Bestandserfassungen (Kiebitz, Goldammer, Beutelmeise), der Wasservogelzählung, langjähriger Beobachtung in bestimmten Gebieten (Wildenhainer Bruch, Großteich Torgau und Kläranlage Leipzig Nord), bibliografischen Angaben über ältere Zeitschriften bis zu Reiseberichten über Gambia und Spitzbergen reichen. Aktiv werden die Bemühungen des Naturschutzes unterstützt, Erfassungen von Brutvogelbeständen und des Zugverlaufes durchgeführt. Die Treffen finden jeden Dienstag statt – seit über 100 Jahren der trotz Schwierigkeiten konsequent eingehaltene Tag der Versammlung! – Seit einigen Jahren in der wärmeren Jahreszeit "im Freien", im Wechsel mit einer "Stubensitzung". Seit 1929 wird im Naturkundemuseum getagt, in dem auch die Bibliothek untergebracht ist.

Dem OVL fehlte längere Zeit die Jugend, kein erfreuliches Zeichen der modernen Zeit, auch wenn bereits mehrere Vogelfreunde über 50 Jahre dem Verein die Treue halten. Seit 2009 ist zum ersten Mal wieder ein Zugang zu verzeichnen.